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Montag, 4. Februar 2013

Gleichgeschaltet?

Das tägliche Futter



Wir sind, was wir lesen. Lesen wir, was wir sind?

Was bewegt jemanden, in Zürich unter einen Bedienkasten der Pendler-Zeitung 20-Minuten das Wort „Gleichschaltung“ zu sprayen? Ist da was dran? Mit wem oder was werden wir gegebenenfalls gleichgeschaltet? Wie lebt es sich, wenn wir gleichgeschaltet sind? Hunderttausende lesen täglich Salven von unverdauten, zusammengeklatschten Nachrichten, denen gemeinsam ist, dass sie für das Verstehen des Zeitgeschehens irrelevant oder unbrauchbar sind.
Beispiele? "Ehefrau von Konsul begeht Fahrerflucht", "Unterhosen für David-Statuen", "Geburtstagskinder haben ausgepustet", "Obama ernennt Managerin", "Kritik an Wohnmix", "Winter hüllt Zürich in goldenes Gewand", "Nationalrätin wechselt Namen", "angebliches Yeti-Fell stammt von einem Bären". Und trotzdem lesen wir diesen Verschnitt von Wortmüll. Dahinter, in rosa Farbe, ist der Back-up, der Blick am Abend. Wer am Morgen den Hals nicht genug voll bekommt von der blauen Irrelevanz, kann sich am Abend an der rosaroten Konkurrenz sättigen. Und wir sind satt, vollsatt sogar. Wer durch die Waggons der Pendler- und Fernverkehrszüge schreitet, dem schlägt die Omnipräsenz der medialen Irrelevanz mit Wucht entgegen. Die zurückgelassenen Bezahlzeitungen sind nur mit der Lupe zu finden. Das journalistische Gratis- und Strandgut liegt überall. Alle sind wir auf den schnellen Happen, die rasche Sättigung aus – und bleiben dabei uninformiert, pseudo-informiert, meinungs- und konturlos, rumpf-versorgt. Im Defizit. Die  journalistischen Welt- und Realitätserklärer im Bereich des Kurzfutters wissen, was schmeckt, worin wir gern die Nase strecken, wo wir schnuppern und worüber wir gern schnattern. Ist das Gleichschaltung? Vielleicht nicht, aber Trug sicher. Wir versinken mit dem blauen Wunder im Kopf in der Meinungslosigkeit, im privaten, im künstlich aufgebauschten Skandal, bei der kurzatmigen Nachricht mit der Halbwertszeit von einer Millisekunde. Wir lecken am Zuckerguss, am Schaum des Zeitgeschehens. Jeder ist für den Grad seiner Informiertheit selbst verantwortlich. Wenn  man sich freiwillig das Gratis-Pendlergut in den Rachen stecken lässt, muss man sich auch nicht fragen, warum die konturlose, öffentliche Verblödung zunimmt und uns überrollt.

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